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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Naumburg
Urteil verkündet am 20.12.2001
Aktenzeichen: 4 U 141/01
Rechtsgebiete: VVG AKB, BGB, AKB, ZPO


Vorschriften:

VVG AKB § 67
BGB § 823 Abs. 1
AKB § 15 Abs. 2
ZPO § 2
ZPO § 3
ZPO § 511
ZPO § 516
ZPO § 518
ZPO § 519
ZPO § 511 a
ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2 Satz 1
Wer während eines Strandaufenthalts seinen Fahrzeugschlüssel in seiner Kleidung versteckt für sehr kurze Zeit (ca. 2 Minuten) unbeaufsichtigt lässt, handelt nicht grob fahrlässig.
OBERLANDESGERICHT NAUMBURG IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 141/01 OLG Naumburg

verkündet am: 20.12.2001

In dem Rechtsstreit

wegen Regreßforderung aufgrund eines Pkw-Diebstahls

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Klußmann, des Richters am Oberlandesgericht Feldmann und der Richterin am Oberlandesgericht Mertens auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 30. Juli 2001 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Halle wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Klägerin übersteigt DM 60.000,-- nicht. Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf DM 35.200,-- festgesetzt.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten im Wege des Regresses auf Rückzahlung von Versicherungsleistungen nach einem Pkw-Diebstahl in Anspruch.

Der Arbeitgeber des Beklagten hatte bei der Klägerin für seinen Pkw Mercedes Benz C 250 TD eine Kaskoversicherung abgeschlossen. Der Wagen wurde allein von dem Beklagten, der als Betriebsleiter in H. tätig war, sowohl dienstlich als auch privat genutzt. Während einer zweiwöchigen Urlaubsreise unternahm der Beklagte am 04.07.2000 in Ungarn mit dem Pkw einen Ausflug an den Plattensee. In S. stellte er den Wagen auf einem gebührenpflichtigen aber unbewachten Parkplatz in Strandnähe ab. Nachdem er und seine Frau sich umgezogen hatten, legten sie ihre Sachen etwa 15 m vom Wasser entfernt am Strand ab. Der Schlüssel für das Fahrzeug befand sich in der Hosentasche, über die Hose legte der Beklagte ein Badetuch und stellte darauf noch einen Rucksack. In unmittelbarer Nähe hielten sich zahlreiche Badegäste auf. Der Beklagte begab sich sodann für ca. zwei Minuten ans Wasser, während seine Ehefrau zunächst noch zurück blieb, ihm dann aber nachfolgte. Vom Wasser aus hatte der Beklagte freie Sicht auf die abgelegten Sachen. Als er nach zwei Minuten zurückkehrte, waren Rucksack und Hose verschwunden. Der Beklagte lief sofort zum Parkplatz und stellte fest, dass auch sein Fahrzeug gestohlen war. Die von ihm alarmierte Polizei traf ca. 10 Minuten später ein, konnte den oder die Täter jedoch nicht ermitteln.

Die Klägerin zahlte sodann auf Grund der Kaskoversicherung an den Arbeitgeber des Beklagten, die Firma W. GmbH DM 35.200,00. Mit Schreiben vom 12.10.2000 nahm die Klägerin den Beklagten in Regress und forderte ihn zur Erstattung der Versicherungsleistung auf.

Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte habe den entwendeten Pkw nicht ordnungsgemäß abgeschlossen. Sie meint, der Beklagte habe den Diebstahl grob fahrlässig verursacht. Der Diebstahl sei ohne weiteres vermeidbar gewesen, wenn sich einer der Eheleute ständig bei den abgelegten Sachen aufgehalten hätte. Da der Beklagte nicht Repräsentant der Versicherungsnehmerin sei, habe sie die Leistung aus der Versicherung nicht verweigern können; deshalb könne sie nun auch den Beklagten in Regress nehmen.

Sie hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie DM 35.200,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach dem Diskontüberleitungsgesetz seit dem 28.12.2000 zu zahlen zuzüglich DM 5,00 vorgerichtliche Mahnkosten.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat einen Zusammenhang zwischen der Entwendung der Gegenstände am Strand und dem Verschwinden des Fahrzeugs bestritten. Da er die zurückgelassenen Gegenstände nur ganz kurz aus den Augen gelassen habe, könne grobe Fahrlässigkeit unter Berücksichtigung der Gesamtumstände nicht angenommen werden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der Beklagte nicht grob fahrlässig gehandelt habe.

Gegen das Urteil hat die Klägerin mit vertiefenden Rechtsausführungen Berufung eingelegt.

Sie beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie DM 35.200,00 nebst 5 % Zinsen nach dem Diskontüberleitungsgesetz seit dem 28.12.2000 zu zahlen zuzüglich DM 5,00 vorgerichtliche Mahnkosten.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen und auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 511 ZPO statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 516, 518, 519 ZPO; die Berufungssumme ist erreicht, § 511 a ZPO.

II.

Sachlich ist das Rechtsmittel allerdings nicht gerechtfertigt. Der Beklagte ist gegenüber der Klägerin nicht verpflichtet, die an seinen Arbeitgeber erbrachten Leistungen aufgrund der Diebstahlversicherung zu erstatten.

1.

Der Klägerin steht ein gemäß § 67 VVG AKB vom Arbeitgeber auf sie übergegangener Schadensersatzanspruch nicht zu. Zwar hat der Beklagte den Verlust des Pkw fahrlässig verursacht und damit den Tatbestand des § 823 Abs. 1 BGB zum Nachteil seines Arbeitgebers erfüllt; dies berechtigt die Klägerin jedoch nicht zu einem Regreß gegen den Beklagten, weil dieser als berechtigter Fahrer den Versicherungsfall nicht grobfahrlässig herbeigeführt hat, § 15 Abs. 2 AKB.

Grobe Fahrlässigkeit setzt voraus, dass in objektiver Hinsicht das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich überschritten wird und auch in subjektiver Hinsicht ein unentschuldbares Fehlverhalten vorliegt, das erheblich über das übliche Maß hinausgeht. Grobe Fahrlässigkeit ist regelmäßig dann gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, wenn schon einfachste und nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen worden sind, die jedem hätten einleuchten müssen (BGHZ 10, 14; VersR 72, 877), und zwar durch ein subjektiv unentschuldbares Verhalten (BGH VersR 80, 180; NJW-RR 89, 213). Unter Berücksichtigung aller Einzelumstände hat sich der Beklagte nach Auffassung des Senats in diesem Sinne nicht grobfahrlässig verhalten.

Der Klägerin ist zuzugeben, dass der Beklagte den Diebstahl des Pkw durchaus hätte vermeiden können. Dabei geht der Senat davon aus, daß der Diebstahl der Fahrzeugschlüssel zur Entwendung des Pkw geführt hat und nicht zwei unabhängig voneinander abgelaufene Diebstahlshandlungen vorliegen. Hieran bestehen angesichts der Kürze der Zeit, in der die Entwendungen stattgefunden haben, und angesichts ihrer örtlichen Nähe zueinander keine vernünftigen Zweifel. Vor diesem Hintergrund wäre das Fahrzeug nicht abhanden gekommen, wenn der Beklagte die Fahrzeugschlüssel bei sich getragen hätte oder er selbst bzw. seine Ehefrau bei den abgelegten Gegenständen zurückgeblieben wäre, so dass er den Diebstahl fahrlässig ermöglicht haben dürfte.

Einen Sorgfaltsverstoß in besonders hohem Maße vermag der Senat unter den hier vorliegenden besonderen Umständen dem Beklagten indessen nicht vorzuwerfen, auch wenn in der konkreten Situation erkennbar eine erhöhte latente Diebstahlsgefahr bestand. Denn der Beklagte hat sich so verhalten, wie es eine Vielzahl von Autofahrern auch getan hätte, wenn sie am Strand schwimmen gehen oder sich dort auch nur in Badebekleidung aufhalten. Sie lassen den Fahrzeugschlüssel am Liegeplatz - möglichst versteckt - zurück, da in einer Badehose in der Regel keine Autoschlüssel verstaut werden können. Berücksichtigt man darüber hinaus insbesondere, dass sich der Beklagte mit seiner Ehefrau nur für sehr kurze Zeit (ca. 2 min.) und noch dazu in einer Entfernung von allenfalls 15 m von seinen Gepäckstücken entfernt hat, so kann nicht angenommen werden, er habe sich in solch einem Maße nachlässig verhalten, dass ihm die besondere Gefährlichkeit ohne weiteres hätte einleuchten müssen. Dieser Vorwurf wäre nur dann gerechtfertigt, wenn ihm bekannt gewesen wäre oder er damit hätte rechnen müssen, dass er - spätestens seit dem Parkvorgang - beobachtet worden war. Denn für Personen in der näheren Umgebung, die ihn lediglich beim Abstellen seiner Sachen beobachtet hätten, wäre eine rasche Zuordnung der Schlüssel zu einem bestimmten Fahrzeug nicht möglich gewesen; denn es ist nicht dargetan, dass der Parkplatz vom Strand einsehbar war und der Parkvorgang deshalb auch vom Strand aus beobachtet werden konnte. Hinzu kommt, dass der Beklagte vom Wasser aus ungehinderte Sicht auf die zurückgelassenen Gegenstände hatte. Er konnte also berechtigterweise davon ausgehen, dass er während der kurzen Abwesenheit und angesichts der äußerst geringen Entfernung ständig Sichtkontrolle über die Gegenstände haben werde und zur Sicherung seines Eigentums gegebenenfalls rasch werde eingreifen können. Wenn dies dann - wie der Diebstahlshergang zeigt - tatsächlich nicht der Fall war und die Gegenstände zumindest kurzzeitig unbeobachtet gewesen sein müssen, so mag das einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen; schlechthin unentschuldbar gerade auch im subjektiven Bereich ist dieses Verhalten jedoch nicht (vgl. zu einem ähnlichen Diebstahlsfall am Balaton OLG Stuttgart, ZfS 97, 140 f.). Dies gilt umso mehr, als die zahlreichen Badegäste nicht nur einen Risikofaktor auf Grund der Anonymität darstellten, sondern gleichzeitig auch einen gewissen Diebstahlsschutz bieten konnten, weil es den Strandnachbarn möglicherweise auffallen musste, falls sich ein Fremder an den Gepäckstücken zu schaffen machte.

Da all diese besonderen Umstände die Schuld des Beklagten in einem milderen Licht erscheinen lassen, kann ein grobfahrlässiges Verhalten nicht angenommen werden, sodass sich das angefochtene Urteil als zutreffend erweist.

2.

Soweit die Klägerin behauptet, der Beklagte habe das Fahrzeug unverschlossen auf dem Parkplatz abgestellt, ohne das Lenkradschloss einrasten zu lassen, bedurfte es einer Beweisaufnahme nicht, da es sich hierbei ersichtlich um eine unbeachtliche Behauptung ins Blaue hinein handelt, die in keiner Weise durch konkreten Sachvortrag unterlegt ist. Zudem hat die insoweit beweisbelastete Klägerin für diese Behauptungen keinen Beweis angeboten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Streitwert und Beschwer sind gemäß §§ 2, 3, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt worden. Für eine Zulassung der Revision besteht kein Anlaß.

Ende der Entscheidung

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